1959: Vision vom Kinderdorf

Eine neue Ära beginnt: Sr. Ingoberga und Erwin Knam kommen

Zugleich mit Schwester Ingoberga kam 1959 als geistlicher Direktor Erwin Knam in die Marienpflege. Schon in seinen ersten Wochen war in ihm der Gedanke aufgeblüht, der ihn rund 45 Jahre nicht mehr losgelassen hat: „Aus dem Waisenhaus muss ein Kinderdorf werden.“ Zwar wurde die Marienpflege weit und breit als das schönste Heim gerühmt, aber es war halt ein Heim in drei großen Gebäuden, ohne familienähnliche Wohnungen mit eigener Haustüre und Gärtchen. Zwar hatten die Kinder in den Schwestern bisher immer konstante, qualifizierte und zutiefst motivierte Bezugspersonen gehabt, doch konnte eine einzige Schwester die Sehnsucht von 30 und mehr Kindern in ihrer übergroßen Gruppe erfüllen?

Immer wenn er von seiner Heimat über den Bodensee hinüberschaute ins Appenzeller Land, wurde er daran erinnert, dass dort nach dem Krieg das erste Kinderdorf der Welt für verlassene Kinder entstanden war. Wie wäre das schön, wenn auch die Marienpflege ein Kinderdorf mit kleinen Familiengruppen in einem dörflichen Lebens- und Lernfeld inmitten der Stadt werden könnte? Mitarbeiter, Schwestern, Verwaltungsrat und Kinder nahmen begeistert diese Idee auf und halfen auf jede ihnen mögliche Weise mit, sie zu verwirklichen. Besonders die Schwestern lebten in der Vorfreude, in einem Kinderdorf den Kindern noch besser Annahme und Beziehung, Fördern und Fordern, Heilen und Rückhalt geben zu können, denn die intakte Familie ist doch das idealste Vorbild nach Gottes Schöpfungsordnung auch für die Heimerziehung.

Schwestern und Kinder planten zusammen mit den Architekten Rothmaier & Tröster die ersten Entwürfe und brachten ihre Sehnsucht und Träume in die Realisierung des Kinderdorfs mit ein. Der Verwaltungsrat gab sofort grünes Licht.

Und die Finanzierung? Eigenkapital war keines vorhanden, nur Schulden. Die öffentlichen Zuschüsse waren gering, dafür das Vertrauen auf Gott und gute Menschen umso größer. So wurde schon 1960 ein Freundeskreis gegründet. Durch Hunderte von Predigten und Kinderdorffesten in vielen Gemeinden, in denen die Kinder Theater spielten und die Knabenkapelle Konzerte gab, konnten mehr als 5000 Freunde konnten gewonnen werden, die seitdem oft ihr ganzes Leben lang das Kinderdorf ermutigt und getragen haben. Wunder der Liebe und der Solidarität haben unsere Wohltäter in 30 Jahren den Kindern mit rund 50 Millionen DM geschenkt.

Um einen Bauplatz für das Kinderdorf auf dem Gelände der Marienpflege zu haben, musste zuerst der Bauernhof ausgesiedelt werden.

Die Schule als selbständiger Bereich

Um der starken Schulraumnot abzuhelfen, hat Sommer 1957-1959 den Franziskusbau errichtet. Das Grundanliegen von Erich Sommer war, die zumeist emotional geschädigten Kinder durch eine liebevoll gestaltete Umwelt und pädagogisch qualifizierte Erzieher zu beheimaten, ihnen durch Musik, Ballet, Theater, Sport und Fahrten Selbstwertgefühl zu vermitteln und die Integration der Marienpflege in die Stadt Ellwangen größtmöglichst zu fördern.

War bisher der Direktor gleichzeitig Heimleiter und der Schulleiter gewesen, so wurde seit 1959 die Schule ein selbständiger Bereich, dem Rektor Guido Nachbaur für Grund- Haupt- und Hilfsschule vorstand. Als Einstandsgeschenk konnte Nachbaur als erster Rektor den Franziskusbau einweihen mit Werkräumen, Klassenzimmern und einem Musiksaal.