„Wir sind auch immer bestrebt, unsere Kinder sauber und nett zu kleiden, so dass ihr Anzug sie nicht als 'Anstaltskind' zeichnet.“
Anstaltsleiter und Pfarrer Matthäus Kolb gab - im Auftrag des Verwaltungsrates - die "Denkschrift zur Feier des 100jährigen Bestehens der Marienpflege Ellwangen am 14. Oktober 1931" heraus.
Seit Gründung im Jahre 1831 wurden in der Marienpflege 5060 Kinder betreut, erzogen und unterrichtet. 190 Kinder lebten zu dieser Zeit hier, aufgeteilt in 8 Gruppen.
Mit 44 Seiten, viel erzählendem Text und vielen Schwarz-Weiß-Fotos (1931!) ist die Veröffentlichung sehr interessant. Sie beginnt mit Dank an Gott für seinen reichen Segen, Dank an die Wohltäter - und sie endet auch so.
Die Themenfelder:
- Werden der Anstalt
- Verwaltung und Rechtsverhältnisse
- Wirtschaftlich
- Pflege, Erziehung und Unterrichtung
- Erstellung eines Neubaus
- Während und nach der Kriegszeit
- Errichtung der Hilfsschule
- Erwerb, Ein- und Umbau des alten Anstaltsgebäudes
- Satzungsänderung
- Letzte Ausgestaltung
- Das Leben im Erziehungsheim
- Entlassung
Eine wunderbare Festschrift von 1931 zum 100jährigen Jubiläum! Sowohl im Text als auch mit den vielen Fotos ein rückblickendes und die aktuellen Zustände beschreibendes Zeitdokument, dass zugleich tiefen Einblick in die Pädagogik der damaligen Zeit gibt – und zugleich staunen lässt, denn viele dieser Werte sind uns 80 Jahre später ebenso wichtig!
Übersichtsplan der Marienpflege von 1931
Erziehung zu körperlicher Arbeit
"Auch die Anleitung zu körperlicher Arbeit darf nicht vernachlässigt werden; sie ist und bleibt das beste Heilmittel gegen alle ungeordneten Triebe. In unserem Erziehungsheim wird darum größter Wert gelegt auf körperliche, den Kräften des Kindes angemessene Betätigung. Es handelt sich hier nicht um große Arbeitsleistungen sondern um Erziehung zum Arbeiten. Viel leichter wäre oft für den Erzieher, die Arbeit selbst auszuführen und das Kind untätig stehen zu lassen, Erziehungsarbeit wäre aber damit nicht geleistet. Gelegenheit zu kleinen Beschäftigungen bieten jeder Gruppe ihre eigene Stube, ihre Schlafräume, Schulzimmer, den größeren Mädchen vor allem Küche, Haus und Garten, den Knaben unsere Aecker und Wiesen. Die Erziehung zur Arbeit, und auch zu landwirtschaftlichen Arbeiten, scheint uns bei den gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnissen besonders wichtig und wertvoll zu ein. Das Kind soll doch im Erziehungsheim so weit gebracht werden, daß es später arbeiten kann und arbeiten will."
Freude als wertvolles Erziehungsmittel
"Wir haben in unserem Erziehungsheim Kinder, und wo Kinder sind, da muß Freude sein. Sie ist ein wertvolles Erziehungsmittel, ein Sonnenlicht, das Leben weckt. Freude fördert den Geist, weckt Mut und Selbstvertrauen, und darum ist ein Erzieher, sofern es ihm um Erfolge zu tun ist, bei einer Tätigkeit auf die Freude als Bundesgenossen angewiesen, die Kinder kommen später ins Leben hinaus und sie werden noch hart von demselben angefaßt; dann sollen sie ich doch einmal in ihrem Leben gefreut haben, in den Tagen ihrer Kindheit. Armer Mensch, der sich in einer Jugendzeit nicht freuen durfte! Darum hat die Freude in unserem Hause Heimatrecht und sie soll es behalten!"
"Unsere Kinder singen, und der Anstaltsleiter, Lehrer und Erzieher singen mit. Unsere Kinder spielen und hüpfen, die Erzieher lehren sie das und freuen sich daran."
Die Mädchen tanzen und das Mundharmonika- Orchester spielt dazu. Unsere Buben dürfen Buben sein, freilich darf auch das "Halt" zur rechten Zeit nicht fehlen. Unsere Kinder dürfen sich nach Herzenslust tummeln auf dem Spielplatz, dürfen an freien Tagen hinaus, Sonne essen und Waldluft holen."
"Beim Kinderfest der Stadt sind wir dabei, spielen unsere Rolle und kommen nicht zu kurz! Wenn sonst für Kinder was los ist in der Stadt, fehlen wir selten. Wenn wir beim Ausflug durch die Straßen fahren, öffnen ich die Fenster. Für den Viehmarkt haben unsere Kinder Interesse, der Roßmarkt gefällt ihnen noch besser. An Regentagen und Sonntagabenden sitzen wir bei Lichtbildern und Radio, und bevölkern Turnsaal, Halle und Kegelbahn. Wir spielen Theater und die Stadtleute kommen zu Hauf. Uns besucht St. Nikolaus und der Osterhase legt ein. Am Tag der Schwester Oberin, Küchla viel zum Essa bring! Am Herrn Kaplan seim Namenstag, ma bloß noch Küchle essa mag! Sie hören gerne Kasperlein, an der Fastnacht wolln sie's selber ein. An solchen Tagen entdeckt das Lehrerauge Talente, die es in der Schule nie geschaut!"